Das Lied Von Hiawatha
Henry Wadsworth Longfellow

II. Die vier Winde

"Ehre sei den Mudjekeewis!"
War der Krieger Ruf, der Alten,
Als er im Triumph kam heimwärts
Mit dem heil'gen Wampumgürtel,
Aus den Gegenden des Nordwinds,
Aus dem Königreich Wabasso's,
Aus dem Land des Weißkaninchens

 

Stahl er dort den Wampumgürtel
Von dem Halse Mishe-Mokwa's,
Von der Berge großem Bären,
Ihm dem Schrecken rings der Völker,
Als er schlafend lag und wuchtig
Auf dem Gipfel des Gebirges,
Wie ein Fels mit Moosen auf ihm,
Braun und grau gefleckt mit Moosen.

 

Leise schlich er nah heran sich,
Bis des Untiers rote Nägel
Ihn berührten fast und scheuchten,
Bis in der weiße Rauch der Nüstern
Mudjekeewis' Hände wärmte,
Als er zog den Wampumgürtel
Über die Ohren, die nicht hörten,
Über die Augen, die nicht sahen,
Über Nase lang und Nüstern,
Über Maul und schwarze Schnauze,
Draus das heiße, schwere Atmen
Mudjekeewis' Hände wärmte.

 

Hoch dann schwang er seine Kriegskeul'
Jauchzte laut und lang den Kriegsruf,
Traf den mächt`gen Mishe-Makna,
Traf ihn mitten auf die Stirn hin,
Traf ihn zwischen beide Augen.

 

Ganz verwirrt vom wucht'gen Schlage
Fuhr empor der Bär der Berge,
Doch ihm zitternden die Kniee,
Und er wimmerte wie Weiber,
Als er taumelnd schwankte vorwärts,
Als er saß auf seinen Schenkeln;
Und der mächt`ge Mudjeekewis,
Furchtlos stehend vor dem Grimmen,
Höhrt`ihn, schmäht`ihn lauten Spottes,
Sprach verächtlich solchermaßen:

 

"Hör`du, Bär, du bist ein Feiger,
Bist kein Tapfrer, wie du vorgabst,
Würdest sonst nicht schrei'n und Wimmern,
Wie ein Weib, ein elendarmes!
Feind, Bär, sind sich unsre Stämme;
Lang, du weißt es, führten Krieg wir;
Findend jetzt, daß wir die Stärksten,
Gehst und birgst du dich im Forste,
Da, verkriechst dich in den Bergen!
Hättest du mich überwunden,
Nicht ein Stöhnen auch vernähmst du,
Doch du sitzest hier und winselst,
Schändest deinen Stamm durch Heulen,
" Wie ein schlechter Shaugodaya,
Wie ein altes Weib, ein feiges! "

 

Wieder dann hob er die Kriegskeul`,
Noch einmal den Mishe-Mokwa
Mitten auf die Stirn hin traf er,
Brach den Schädel ihm, wie Eis bricht,
Wer da fischen geht im Winter.
So erlegt ward Mishe-Mokwa,
Er der große Bär der Berge,
Er der Schrecken rings der Völker.

 

"Ehre sei den Mudjekeewis!"
Rief das Volk einstimmigen Jauchzens,
"Ehre sei den Mudjekeewis!"
Von nun an sei er der Westwind,
Und nach diesem und für immer
Halt`er in der Hand die Herrschaft
Über die Winde rings des Himmels!
Heißt ihn nicht mehr Mudjekeewis,
Heißt ihn Kabeyun, den Westwind!"

 

So gewählt ward Mudjekeewis
Zu der Himmelswinde Vater,
Für sich selbst behielt den West er,
Gab die anderen seinen Kindern;
Gab in Wabun`s Hand den Ostwind,
Gab den Süd dem Shawondasee,
Und den Nordwind, wild und grausam,
Grimmigen Kabibonokka.

 

Jung und schön zu sehn war Wabun;
Er war`s, der den Morgen brachte,
Er war`s dessen Silberpfeile
Jagten vor sich her das Dunkel;
Er war`s, dessen Wange glühte,
Licht bemalt mit Scharlachstreifen;
Er auch, der das Dorf erweckte,
Rief dem Hirsch und rief dem Jäger.

 

Einsam doch am Himmel weilt`er;
Sangen ihm auch froh die Vögel,
Füllten auch der Wiese Blumen
Rings die Luft für ihn mit Wohlhauch,
Jauchzten Wälder auch und Flüsse
Singend auf bei seinem Kommen, -
Immer traurig war sein Herz doch
Denn allein am Himmel weilt`er.

 

Eine Früh doch, blickend erdwärts,
Als das Dorf noch schlief und träumte,
Und der Nebel auf dem Fluß lag,
(Wie der Geist, der sich davon macht
Morgens, wenn aufgeht die Sonne.)
Sah er eine Jungfrau, wandelnd
Ganz allein auf einer Wiese.

 

Jeden Morgen blickend erdwärts,
Stets das Erste, was er sah dort,
Waren ihre blauen Augen,
Seines harrend, zu ihn aufschau`nd,
Blaue Seen im grünen Schilfland.
Und er liebte die Verlassene,
Die sein Kommen so erharrte;
Denn sie waren beide einsam,
Sie auf Erden, er am Himmel.

 

Und er warb um sie mit Kosen,
Warb mit seinem sonnigen Lächeln,
Warb mit seinem süßen Schmeicheln,
Seinem Seufzen, seinem Singen,
Warb mit Flüstern in den Zweigen,
Warb mit Tönen, warb mit Düften,
Bis er sie an seine Brust zog,
In sein Purpurkleid sie hüllte,
Sie zu einem Sterne machte,
Ewig zitternd an der Brust ihm;
Und für immer in den Himmeln
Sieht man wandern sie zusammen,
Wabun und der Wabun-Annung,
Wabun und der Stern des Morgens.

 

Doch der Nord, Kabibonokka,
War zu Haus bei Klipp`und Eisberg,
Wohnt`im ew'gen Schneegestöber,
In dem Königreich Wabasso`s,
In dem Land des Weißkaninchens.
Er war´s, dessen Hand im Herbste
Rings den Wald mit Scharlach malte,
Rot und gelb die Blätter fleckte;
Er war`s, der die Flocken schickte,
Wirbelnd, zischend durch den Forst hin;
Er auch, der die Seen und Teiche,
Der die Flüsse ließ gefrieren,
Möw`und Taucher scheuchte südwärts,
Cormoran und Reiher scheuchte
In ihr Nest von Rieth und Seetang
In den Reichen Shawondasee`s

 

Grimmig einst Kabibonokka
Trat hervor aus seinem Schneehaus,
Trat aus seiner Eisberghütte,
Und sein Haar, mit Schnee besprenkelt,
Strömt ihm nach, gleich einem Strome,
Einem winterlichen, schwarzen
Und er heult`und jagte südwärts
Über frostige Seen und Moore.

Dorten zwischen Rusch und Röhricht
Fand er Shingebis, den Taucher,
Schnüre aufgereihter Fische
Nach sich schleppend auf dem Eise
Über Sumpf und über Moorland.
Er nur weilte noch im Moorland;
Längst schon war sein Stamm geschieden
Nach dem Lande Shawandasee`s

 

Grimmig rief Kabibonokka;
"Wer also wagt mir zu trotzen,
Wagt in meinem Reich zu weilen,
Wenn die Wawa schon geschieden,
Wenn die Wildgans schwirrte südwärts,
Und der Reiher, der Shuh shuh-gah,
Lange schon davon flog südwärts?
Ich will geh'n in seinen Wigwam,
Löschen aus sein schwelend Feuer!"

 

Und bei Nacht Kabibonokka
Kam zur Hütte, barsch und brausend,
Häufte Schnee um ihre Wände,
Jauchzte nieder in die Rauchflucht,
Schüttelte wütend First und Pfosten
Warf und hob des Türwegs Vorhang.
Furchtlos drinnen saß der Taucher,
Einerlei war es dem Taucher;
Hatt`er doch viel große Klötze,
Jeder brannt ihm einem Monat,
Und zum Mahl hatt`er die Fische.
Saß er dort bei seinem Feuer,
Warm und lustig, essend, lachend
Singend: "O Kabibonokka,
Du bist sterblich nur, wie ich bin!"

 

Eintrat da Kabibonokka;
Shingebis, der Taucher, fühlt`es,
Fühlt es an der großen Kälte,
An der Näh`des eis`gen Atmens;
Dennoch fuhr er fort zu singen,
Dennoch fuhr er fort zu lachen,
Drehte nur den Klotz ein wenig,
Ließ die Glut nur heller flammen,
Jagte die Funken durch die Rauchflucht

 

Von Kabibonokka`s Stirne,
Von den Locken schneebesprenkelt,
Fielen schwere Tropfen Schweißes,
Spuren drückend auf die Asche,
Wie entlang der Hütte Traufen,
Wie vom Ast der Schierlingstanne
Tropft der schmelzende Schnee zur Lenzzeit;
Löcher höhlend in die Schneeflur.

 

Bis besiegt er endlich aufstand;
Nicht ertrug er mehr die Hitze,
Nicht ertrug er mehr das Lachen,
Trug nicht mehr das lust`ge Singen.
Häuptlings durch den Türweg stürzt er,
Stampfte auf die krust`ge Schneeflur,
Stampfte auf die Seen und Flüße,
Machte den Schnee auf ihnen härter,
Machte das Eis auf ihnen dicker,
Forderte heraus den Taucher,
Draußen jetzt mit ihm zu ringen
Auf gefrorenem Sumpf und Moorland.

 

Kam heraus der kühne Taucher,
Rang die Nacht durch mit dem Nordwind,
Rang mit ihm nackt auf den Mooren,
Mit dem Nord, Kabibonokka,
Bis der Nordwind schwächer hauchte,
Bis sein eis`ger Griff erlahmte,
Bis er taumelnd schwankte rückwärts,
Und geschlagen sich zurückzog
In das Königreich Wabasso`s,
In das Land des Weißkaninchens,
Hörend stets das stürmische Lachen,
Hörend Shingebis, den Taucher,
Wie er sang: "Kabibonokka,
"Du bist sterblich nur, wie ich bin!"

 

Shawandasee, fett und träge,
Hatte fern sein Haus im Süden;
In dem schläfrigträumerischen
Sonnenscheine dorten weilt`er,
In dem Sommer, der nicht endet.
Er war`s, der die Vögel sandte, -
Sandt' Opechee, sie die Rotbrust,
Blauen Vogel auch, Owaissa,
Sandte Shawshaw, sie die Schwalbe,
Sandte die Wildgans, Wawa, nordwärts,
Den Tabak und die Melon` auch,
Und die Traub`in Purpurbüscheln.

 

Stieg der Rauch aus seiner Pfeife,
Hüllt`in Duft und Dunst den Himmel,
Strömte träumerische Milde
Durch die weiche, warme Luft rings,
Gab dem Wasser hellen Schimmer,
Hauchte glatt die rauhen Hügel,
Brachte den Indianersommer,
Ihn den Sommer sanfter Tage,
Bracht` ihn in das trübe Nordland
In dem öden Mond der Schneeschuh'.

 

Sorglos heitrer Shawondasee!
Fiel ein Schatten auf sein Leben,
Kannt' ein Herzeleid sein Herz doch!
Einstens, als er blickte nordwärts,
Weit, weit weg auf einer Steppe
Sah er stehen eine Jungfrau,
Sah er hoch und schlank ein Mädchen
Ganz allein auf einer Steppe;
Hellstes Grün war ihr Gewand ganz,
Und ihr Haar war wie die Sonne.

 

Tag für Tag auf sie nun blickt' er,
Tag für Tag nun blickt`und seufzt`er,
Tag für Tag nun brannte heißer
Ihm das Herz in Lieb`und Sehnsucht
Nach dem Mädchen gelb von Locken.
Doch er war zu fett und träge,
Sich zu sammeln, rasch zu werben;
Zu bequem und lässig war er,
Ihr zu nah'n, sie zu bereden.
Tat er darum nichts als hin sehn,
Saß und seufzte nur von Liebe
Zu dem Mädchen auf der Steppe.

 

Bis `nes Morgens, blickend nordwärts,
Er ihr Gelbhaar sah verwandelt,
Ganz bedeckt mit etwas weißem,
Weiß bedeckt gleichwie mit Flocken
"O, nein Bruder du vom Nordland,
Du, vom Königreich Wabasso's,
Du, vom Land des Weißkaninchens,
Du denn raubtest mir mein Mädchen,
Legtest deine Hand auf`s Haupt ihr,
Warbst um sie, ach! Und gewannst sie
Mit den Fabeln deines Nordlands!"

 

Hauchte so Freund Shawodasee
In die Lüfte seinen Kummer;
Und der Südwind warm und brünstig
Warm von Seufzern Shawodasee`s,
Kam gewandert durch die Steppe,
Bis die Luft voll schien von Flocken,
Voll von Distelflaum die Steppe,
Und die Maid mit sonnigen Haaren
Ihm für immer war entschwunden;
Niemals mehr sah Shawondasee
Die gelockte, sie die Blonde

 

O betörter Shawondasee!
War`s kein Weib, wonach du aussahst,
Keine Maid, um die du seufztest!
War`s der Löwenzahn der Steppe!
Ihn, den ganzen Sommer
Sahst du an mit solchen Schmachten,
Seufzest um ihn so mit Sehnsucht,
Schnauftest ihn dann fort für immer,
Bliesest ihn vom Stiel und Seufzen -
O, betörter Shawondasee!

 

Teilten so sich die vier Winde! Hatten Mudjekeewis`Söhne Also ihren Ort am Himmel, An den Ecken rings des Himmels! Für sich selbst allein den Westwind Hielt der mächt'ge Mudjekeewis.